Haldern Pop Festival 2015 – Der Bericht

Folgt man den Geo-Koordinaten N51°46’40.08’’ E6°28’53.4’’, so landet man in mitten von Wiesen, Höfen und vielen Kühen.
Ruhig gelegen zwischen den Verkehrsrouten der Autobahn A3 und dem Flusslauf des Rheins liegt das 5000 Seelen Dorf Haldern.
Eigentlich ein Dorf wie so viele. Häuser, Geschäfte und natürlich etliche Kneipen prägen das Ortsbild rund um die katholische Kirche St. Georg. Man merkt, so ziemlich kennt hier jeder jeden. Fremden Nummernschildern wird schon mal hinterher geschaut. Wo kommt der denn her und hat der sich verfahren?

 

Aber einmal im Jahr nehmen die auswärtigen Nummernschilder drastisch zu. So finden sich Hamburger neben Berliner neben Münchener, Niederländer neben Franzosen neben Norweger. Und alle haben nur ein Ziel: Der Alte Reitplatz am Rande der Siedlung.

Es ist also wieder August und das Haldern Pop Festival öffnet seine Tore. Die Vorfreude ist allen Ankömmlingen in Form eines breiten Grinsens im Gesicht direkt zu erkennen. Begrüßt von freundlichen Menschen und liebevoll selbst gebastelten Schildern ist jedem sofort klar „Hier wollt ich hin – hier will ich sein!“.

Stoßstange an Stoßstange trudeln die Besucher am Donnerstagvormittag aus ganz Europa ein. Hier werden Zelte aufgebaut dort wird ein Lager errichtet. Die ersten haben bereits heiße Kohlen im Grill und der Duft von Würstchen und Steaks weht über die Campingwiese. So lässt es sich aushalten während die Anderen in der heißen Sommersonne schwitzend versuchen Herr über ihre Zeltstangen zu werden.
Irgendwie ist alles durcheinander und doch scheint alles System zu haben. Die Stammbesucher haben anscheinend ihre festen Plätze und die Nachbarn werden mit einem kühlen Bier und freundlichen Worten begrüßt. Man kennt sich anscheinend. Es wird immer internationaler. So konnte ich mich doch glatt mit Norwegern unterhalten, die meinten, dass sie ihren Jahresurlaub seit 7 Jahren am Niederrhein in Deutschland verbringen – natürlich mit dem Besuch des Haldern Pop Festival. Unglaublich – aber sehr schön!

Gegen 15 Uhr ist der Campingplatz dann auch schon mehr als gefüllt und ich traf auf einige Bekannte. Pause machen – ab in den Schatten und erst einmal das bisher erlebte bei Gesprächen unter Freunden besprechen. Als dann die Frau meines Kollegen mit ihren Kindern um die Ecke kam, war es endgültig da, das Gefühl eines Familienfestivals. Alles ist irgendwie harmonisch – keine verkleideten Festivalbesucher, die meinen durch Eselskostüme besonders lustig zu sein. Keine grölende besoffene Kiddies, obwohl die traditionelle Partie Flunkyball natürlich auch auf dem Haldern Pop Festival nicht fehlen darf. Man kann auch trinken und sich trotzdem benehmen.

 

Ein kurzer Blick auf die Uhr zeigt, dass nun das 32. Haldern Pop Festival auch musikalisch bereits in vollen Gängen läuft. In der Kirche im Ortskern spielen Frances und eröffnen somit das Festival.
Ich bin leider nicht bis zum Ortsinneren gekommen, so müssen die Konzerte in der Kirche und in der Haldern Pop Bar ohne mich auskommen. Da die Security und das Personal vor Ort wohl noch nicht richtig eingespielt sind, muss ich ein paar mal beim Office nachfragen bis endlich klar ist, mit dem roten Presse-Bändchen kommt man problemlos in den Pressebereich. Durch diese Aktion ist die erste Band, die ich sehe, Dotan im Spiegelzelt.
Wow, was für eine Atmosphäre. Gerade einmal 800 Leute haben in diesem kleinen und bei den Temperaturen stickige Zelt platz. Bunte Fenster, Sitzplätze rund um die „Tanzfläche“ und Spiegel an den Pfeilern des Zeltes sorgen für eine ganz besondere Konzerterfahrung. Und spätestens bei dem Song „Home“ des Singer-Songwriter Dotan aus Amsterdam waren alle Besucher verschwitzt und vollkommen aus dem Häuschen.
Aber auch diejenigen, die es aus platzgründen nicht in das Zelt geschafft haben amüsieren sich draußen im Biergarten, wo die Konzerte auf einer großen Leinwand neben der Byzanzstage, die übrigens nur am Donnerstag bespielt wird und bereits am Freitag wieder verschwunden ist, gezeigt werden.
Auf eben dieser Byzanzstage stehen direkt im Anschluss junge Musiker aus Köln. Die wohl gerade angesagteste deutsche Pop-Blues-Alternativ-Band der Stunde, AnnenMayKantereit. Das Trio, welches bei Liveauftritten von einem vierten Musiker verstärkt wird, besitzt durch die raue, an Rio Reiser und Sven Regener erinnernde Stimme des Sängers Henning May einen hohen Wiedererkennungswert.

Abwechselnd auf den beiden Bühnen spielen dann noch Ibeyi, Dan Deacon, Benjamin Booker, Bilderbuch, Someday Jacob und Public Service Broadcasting.
Ein wirklich super erster Festivaltag neigt sich damit dem Ende entgegen und die Eröffnung der Mainstage am Folgetag lässt die Vorfreude noch einmal steigen.

 

Der Vormittag des zweiten Tages findet komplett im Ort statt. Fünf mal Kirche und einmal Haldern Pop Bar zeigt der Timetable. Ich selber schaffe es aber erst gegen 15 Uhr wieder zum Festival. So ist die erste Band die ich sehe und natürlich auch fotografisch festhalte Mammút aus Island. Irgendwie haben die Bands aus Island oder zumindest die weiblichen Stimmen einen Wiedererkennungswert. Schließt man die Augen so könnte man manchmal auch glauben, Björk stände auf der Bühne. Nur das Tempo war um einiges energiegeladener. Mit einer kleinen Überschneidung betreten Die Sonne das Spiegelzelt. Auch wenn es heute längst nicht mehr so warm ist wie am Vortag ist die Luft im Zelt doch einmalig – stickig und biergetränkt.
Die Sonne, bis 2014 noch unter dem Namen Wolke (macht ja Sinn, ist die Wolke weg kommt die Sonne) bekannt, bietet ruhigen deutschsprachigen Pop. Mal zum träumen – mal zum tanzen.
Als nächstes sind Oasis dran. Moment mal, das sind ja gar nicht Oasis – hören sich aber genauso an. DMA’s aus Sydney bieten Britpop wie vor 15 Jahren. Wer auf diese Art der Musik steht und Oasis gut fand/findet der sollte sich DMA’s unbedingt anhören. Man könnte fast sagen DMA’s sind Oasis – nur in besser. Auf dem Weg zur Mainstage und Kate Tempest werde ich doch prompt von ein paar Kollegen aufgehalten und in ein Gespräch verwickelt. So müssen die Fotos wohl warten und ich schaue mir Kate Tempest von etwas weiter hinten an. Ist das jetzt Indie oder Hip-Hop oder Spoken Word? Irgendwie alles in einem. Zwischen tempogeladenen Rap-Parts mit Unterstützung ihrer zwei Musikerkollegen auf der Bühne setzt sie plötzlich an um solo der Haldern-Gemeinde eine Predigt vom feinsten zu kredenzen. Irgendwie nicht meine Musik, aber was die dreißigjährige da auf der Bühne abliefert ist doch magisch und bewundernswert!

Zeit für den Clown aus dem Fernsehen. Olli Schulz selber stellt aber klar, dass er ein ernsthafter Musiker ist und lässt gleichzeitig eine Konfettikanone platzen. Ich mag einfach Musiker die sich selber nicht zu Ernst nehmen. Dennoch war ich schon gespannt wie Olli Schulz in Haldern ankommen wird und eins ist klar: Er kommt an. Mit lockeren Sprüchen weiß der Entertainer den Zuhörern zwischen der Pizza- und der Pastabude zu unterhalten. Das ist doch das richtige Programm zur Primetime.
Direkt im Anschluss betreten die Damen von Savages die Bühne. Vom ersten Moment an geht die Richtung steil nach oben. Energiegeladener Postpunk des Quartetts. Da bleibt kein Bein ruhig und die Musik ist stellenweise eigentlich viel zu schnell für das Halderner, wie das Haldern Pop Festival liebevoll genannt wird. Aber es kommt an – und wie. Spätestens als Sängerin Jenny Beth von der Bühne steigt um mitten im Publikum ihre Show auf den Händen der Zuschauer weiterführt ist jeder gefangen und hat ein Strahlen in den Augen.
Weitaus ruhiger sollte es dann bei Nils Frahm zugehen. Wie Olli Schulz später im Fernsehen bei Jan Böhmermann sagt, „baut der Typ sich sechs Orgeln auf die Bühne und rennt von einem Gerät zum Anderen, warum holt der sich nicht `ne Band, dann hat er weniger Stress“.
Ganz so schlimm war es nicht, aber Nils Frahm steht tatsächlich alleine auf der Bühne und spielt alle Orgeln und Klaviere gleichzeitig – irgendwie. Er taucht komplett in seine Instrumente ein und man ahnt, dass er nichts von seiner Umwelt mitbekommt. Mir ist es ein wenig zu langsam und zu wenig Unterhaltung, bis auf das spielen des Klaviers mit zwei Toilettenbürsten. Aber das Publikum ist verzückt, und darauf kommt es schließlich an!
Kiasmos bekomme ich nur von weitem mit. Klingt irgendwie ein wenig nach Loveparade. Viel Bass, zu wenig Gitarren. Ich glaube da habe ich nichts verpasst. Auf jeden Fall für meinen Geschmack. Und so geht auch der zweite Tag langsam zu Ende und ich bin einfach zu kaputt um noch bis 02:30 Uhr zu warten um Bernd Begemann im Spiegelzelt zu sehen, was sich aber als Fehler rausstellte wie ich am nächsten Tag erfahre. Die Show soll sensationell gewesen sein. Eigentlich war er für Samstag geplant, musste aber seinen Auftritt auf Freitag verschieben, schade.

Apropos Samstag: Ich stehe in der Schlange vor dem Einlass und unterhalte mich mit netten Menschen mit süddeutschen Akzent. Das Thema schwank zwischen Wetter und die Soundcheck-Klänge aus dem nebenliegenden Spiegelzelt. Eigenartige Klänge sind zu vernehmen, die man eher aus der Klassik kennt als von einem Pop-Festival. Stargaze stimmen ihre Instrumente. Das gerade müsste eine Geige sein, oder ist es eine Violine? Ich weiß es nicht. Genauso wenig kann ich die Klänge von Oboe oder Fagott unterscheiden.

Die erste Band auf der Mainstage heißt Heisskalt und kommt aus Stuttgart. Dass die Band mit Post-Hardcore-Vergangenheit ihre energische und aggressive Show auf dem Haldern Pop Festival präsentieren dürfen, verwundert Heisskalt selber, wie sie in ihren Ansagen betonen. „Von den ganzen Festivals die in diesem Jahr auf dem Programm standen, haben wir uns am Meisten auf dieses hier gefreut“ lässt Mathias Bloech, Sänger der Band, wissen. Ich muss zugeben, Heisskalt ist die einzige Band des ganzen Festivals, welche ich bereits vor der Kamera hatte. Umso mehr freut es mich, dass ihr Auftritt trotz der frühen Stunde schon so gut besucht ist. Bevor Marcus Wiebusch dran ist, spielen noch The Districts aus Pennsylvania, USA. Im Jahre 2009 gegründet haben sie sich auch in Europa schon einen Namen gemacht, was deutlich an der Besucherzahl vor der Bühne zu erkennen ist. Oder sind die alle schon wegen Marcus Wiebusch hier? Dass er sich auf das Haldern Pop Festival gefreut hat ist nicht zu übersehen und das gibt er auch direkt zu Anfang zu. Kaum ein Künstler hat in Deutschland wohl so ein musikalisches Leben hinter sich wie er. Von Punkbands wie …But Alive über Ska mit Rantanplan bis zur Indie-Band Kettcar hat er bereits alles mitgemacht. Außerdem gründete er das Label Grand Hotel Van Cleef und gilt als Entdecker von Tomte, Thees Uhlmann und Olli Schulz, der ja bereits einen Tag zuvor sein Auftritt in Haldern hatte.
Heute spielt er nicht nur Lieder aus seinen Soloalben sondern streut erfreulicherweise auch Lieder von …But Alive und Kettcar ein. Der Höhepunkt des Auftritts ist aber unangefochten das Lied „Der Tag wird kommen“, in dem er über das Coming-Out und Homophobie im Profi-Fussball singt. Nicht endend wollender Applaus belohnt seinen super Auftritt.

Die letzte Band vor dem drohenden Unwetter ist Family Of The Year. Bekannt wurde die 2009 gegründete Band durch ihren Song „Hero“, der im Film Boyhood zu hören war. Und diese Band passt wie die Faust aufs Auge zum Haldern Pop Festival. Eingenebelt von hunderten Seifenblasen und umrahmt von Windrädern im Publikum schwingen ihre Indie- und Folkhits über den Alten Reitplatz. Pärchen halten sich in den Armen und bloße Füße, die unter Blumenkleider hervorschauen tanzen rhythmisch im Staub.
Aber dann ist es doch da. Das Unwetter. Ich habe mich so gerade noch ins Pressezelt retten können und schaue aus dem Fenster. Nichts als Regen ist zu sehen, die armen Besucher vor der Bühne. Father John Misty schaue ich mir auf dem Fernseher im Zelt an, der den Rockpalast-Livestream zeigt. Was bitte ist das denn für eine super Show die ich da sehe. Der Sänger, der dem Schauspieler Antoine Monot, Jr. zum verwechseln ähnlich sieht, steht mal ruhig am Mikrofon, mal springt er über die Bühne und liefert dabei eine perfekte Show ab. Warum nur dieses Unwetter, warum nur dieser Livestream. Ich wünsche mich mit Sonnenschein vor die Bühne. Der Alte Reitplatz ist inzwischen übrigens zum Neuen Schwimmbad geworden. Wer jetzt keinen Regecape und die haldern-typischen Gummistiefel besitzt kann sich nur unter die Bierstände flüchten oder einfach mal nass regnen lassen.
The Slow Show im Anschluss möchte ich aber unbedingt sehen. Nützt ja nix, Regencape über und ab nach vorne. Auch wenn ich aus Angst vor den Fluten von oben die Kamera im Rucksack lassen muss, genieße ich doch die einzigartige Musik und vor allem die Stimme von Sänger Rob Goodwin. So manch ein Gänsehautmoment ist zu finden, vor allem bei den Parts mit stargaze & Cantus Domus.

Leider hat mich jetzt aber der Regen fest im Griff, und ich beschließe zum Auto zu gehen. Regencape heißt also Regencape weil der Regen ungehindert durchfließen kann. Ich wollte doch noch Tour Of Tours, dEUS und The War On Drugs sehen, mist. Aber wenn ich jetzt total durchnässt hier bleibe liege ich ab morgen krank im Bett. Ich Memme!

Nach langem Überlegen, drehe ich mich noch einmal zum Haldern Pop Gelände um, verbeuge mich, sage laut Danke und denke an drei wundervolle Tage zurück! Nicht alles war meine Musik und nicht jede Band hat mir gefallen, aber das Festival ist so familiär und überaus freundlich, dass ich gerne im nächsten Jahr wieder dabei bin!

 

HALDERN POP FESTIVAL das war ganz großes Kino, Chapeau!

 

Wer im nächsten Jahr dabei sein möchte sollte sich den 01. Oktober 2015 – 00:00 Uhr ganz groß im Kalender eintragen. Dann beginnt der Vorverkauf fürs Haldern Pop Festival 2015. Es heißt schnell sein, denn das Festival ist immer schnell ausverkauft.


Zu den Fotos:
· Dotan
–  Donnerstag, Spiegelzelt
· AnnenMayKantereit
–  Donnerstag, Byzanzstage
· Mammút
–  Freitag, Mainstage
· Die Sonne
–  Freitag, Spiegelzelt
· DMA’s
–  Freitag, Spiegelzelt
· Olli Schulz
–  Freitag, Mainstage
· Savages
–  Freitag, Mainstage
· Nils Frahm
–  Freitag, Mainstage
· Heisskalt
–  Samstag, Mainstage
· The Districts
–  Samstag, Mainstage
· Marcus Wiebusch
–  Samstag, Mainstage
· Family Of The Year
–  Samstag, Mainstage


 

 

Was die alten Linden rauschen,
mir ins frohe Herz hinein;
Immer wieder möcht‘ ich lauschen,
Lindendorf am Niederrhein.

Niemals kann ich dein vergessen,
wo ich wandre, wo ich bin;
Haldern, deine Linden rauschen
immer mir durch Herz und Sinn.

Deines Wappens tapfrer Reiter
möge Schutz und Schirm dir sein;
Immer blühe, nie vergehe,
Lindendorf am Niederrhein.

Das Haldern Lied von Hermann Ludwig Blankenburg